Zu Wirtschaft, Verkehr…
Wirtschaft im Wandel der sozialdemokratischen Bewegung
Dass ein „richtiger“ Wiener eine Großmutter aus Böhmen hat, war viele Jahrzehnte eine beliebte Redewendung und das mit gutem Grund. Der Beschluss, die Stadtmauer in Wien und die davorlie-genden Verteidigungsfelder zu parzellieren, löste ab 1860 in Wien einen extremen Bauboom aus. Zu Scharen strömten aus aller Kronländer Arbeiter nach Wien. Wien hatte 1910 fast 2,1 Mio. Einwohner - im Vergleich zu 2022 wurde die 2 Mio. Marke Einwohner nicht erreicht!
Viele davon waren aus Böhmen/Mähren, die am Wienerberg unter verheerenden Umständen lebten und Ziegel brannten, „die Ziegelbehm“.
Es war der Sozialdemokrat Victor Adler, der sich für diese ausgebeuteten Menschen einsetzte und z.B. für die Bezahlung durch Geld und nicht nach dem Trucksystem. Dabei erhalten die Mitarbeiter Waren aus den fabrikeigenen Geschäften zu überhöhten Preisen. Dieses wurde in der Hochblüte des Baubooms 1885 in Österreich verboten.
Mit einem Zitat des Bundeskanzlers a.D. Christian Kern „Die Ein-Personen-Unternehmer sind die Ziegelarbeiter der Gegenwart!“ wage ich den Zeitsprung in die Gegenwart und möchte dazu zwei sehr betroffene Personengruppen herausstreichen.
Personenbetreuer
Die Lebenserwartung in Österreich steigt, die österreichische Bevölkerung wird immer älter und das ist auch gut so. Doch mit der demografischen Entwicklung sind viele Herausforderungen verbunden. Immer mehr Menschen benötigen Pflege und Betreuung.
Wenn sich der Pflege- und Betreuungsbedarf erheblich erhöht und eine „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ erforderlich wird, kommt auch die Familie an ihre Grenzen, und neue Lösungen müssen gefunden werden. Hier kommt dann oft die 24-Stunden-Betreuung ins Spiel. Überwiegend Frauen aus den EU-Oststaaten betreuen dann rund um die Uhr pflegebedürftige Menschen. Diese arbeiteten in Ermangelung einer eindeutigen gesetzlichen Regelung lange Zeit illegal.
Als diese Graubeschäftigungen durch einen Fall aufgeflogen ist, in dem die Familie des damaligen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel involviert war, musste rasch eine neoliberale Lösung gefunden werden.
Früher musste für eine unselbständige Tätigkeit um eine Arbeitsgenehmigung angesucht werden. Um aber auf den Betreuungsnotstand rasch reagieren zu können, wurde in der Gewerbeordnung (§159 GO) ein Modell der Selbstständigkeit geschaffen, das freie Gewerbe „Personenbetreuung“. Diese Bestimmung regelt haushaltsnahe Dienstleistungen wie Kochen, Reinigungstätigkeiten, Besorgungen, Botengänge etc. sowie Unterstützung bei der täglichen Lebensführung und das Leisten von Gesellschaft. Selbstständige genießen naturgemäß keine arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen, sodass beispielsweise auch in der Corona-Krise Selbstständige erst ab dem 43. Tag der Krankheit Anspruch auf Krankengeld haben.
Nicht nur deshalb ist diese Gesetzesreform bereits damals auf massive Kritik gestoßen. Bezweifelt wurde insbesondere, dass die 24-Stunden-Betreuung überhaupt als selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeführt werden kann. Der Grund liegt in der gelebten Praxis. Als Selbstständige werden sie von den (mittlerweile fast 1.000) österreichischen Vermittlungsagenturen auch in den Herkunftsländern aktiv angeworben und an pflegebedürftige Personen vermittelt. Als Hauptproblem der in der Folge geschlossenen Verträge zwischen Agentur und BetreuerInnen werden die Inkassovollmachten der Agenturen lokalisiert. Oftmals werden Zahlungen an Körperschaften wie Krankenkasse, Finanzamt und Gemeinden aus dubiosen Gründen von den Agenturen nicht getätigt und die Folge ist der von diesen Körperschaften eingeleitete Konkurs. Die Personenbetreuerinnen sind dann oftmals schon wieder in Ihrer Heimat und erfahren davon erst bei der neuerlichen Aufnahme einer Betreuung.
Mit Erhalt der Gewerbeberechtigung sind die BetreuerInnen Mitglieder der Wirtschaftskammer (WK) und gehören dem Fachverband Personenberatung und Personenbetreuung an. Allerdings setzt sich der Fachverband ausschließlich aus VertreterInnen der besagten Vermittlungsagenturen zusammen, was zur Folge hat, dass die Interessen der BetreuerInnen in der gesetzlichen Interessenvertretung keine Berücksichtigung finden.
Diesem Umstand der Mitgliedschaft in der Wirtschaftskammer ist es auch zu verdanken, dass es immer wieder Jubelmeldungen über die zahlreichen Neugründer gibt. Auf österreichisch NANONA-NET!
2002 gab es von der ÖVP eine großangekündigte Pflege- und Betreuungsinitiative mit der Garantie zur Attraktivierung, Ausbildungsreform und Schaffung von 35 000 neuen Jobs in diesem Bereich! Obwohl Sie durchgehend in der Bundesregierung ist, sind diese Ankündigungen im Sand verlaufen.
Kleintransporteure
Asylwerbende sind nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz weitgehend vom freien Zugang zum Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Dies gilt auch für eine geringfügige Beschäftigung. Im Rahmen dieser Grundregel stehen für Asylwerber vier Beschäftigungsmöglichkeiten offen:
1. Hilfstätigkeiten im Quartier
2. Gemeinnützige Beschäftigung
3. Saisonarbeit (Gastronomie/Erntehilfe)
4. Selbstständige Tätigkeit (z.B. Kleintransporteur, Kebapstandbetreiber, Personenbetreuer, MJAM FahrerInnen, Handel mit Waren aller Art etc…. )
Flüchtlinge (Asylwerber, Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte) dürfen 3 Monate nach Einbringung des Asylantrages ein solches Gewerbe unter Erfüllung der notwendigen rechtlichen Voraussetzungen anmelden.
Der Bedarf an Zustellern mit Kleintransportern ist, verstärkt durch die Corona Krise, durch den exorbitanten Anstieg des Online-Handels ungebrochen. Im Unterschied zum Taxi - hier muss eine Vielzahl von Ausbildungen zur Gewerbeanmeldung vorgelegt werden - ist das sich selbstständig machen bei den Kleintransporteuren ein leichtes. Die Wirtschaftskammern weisen zwar mehrfach auf die Gefahr der Scheinselbstständigkeit hin und helfen den Betroffenen zur Erlangung eines Feststellungsergebnisses Ihrer Tätigkeit. Auch bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) können Versicherte über Antrag Ihre Versicherungszuordnung rechtsverbindlich überprüfen lassen.
Jedoch ist das wie bei den Personenbetreuern!
Mit Erhalt der Gewerbeberechtigung sind die Kleintransporteure Mitglieder der Wirtschaftskammer (WK) und gehören dem Fachverband Güterbeförderungsgewerbe an. Allerdings setzt sich der Fachverband überwiegend aus VertreterInnen des grenzüberschreitenden Güterverkehrs zusammen. Die Tätigkeiten, die bei den PersonenbetreuerInnen Vermittlungsagenturen machen, übernehmen in der Transportbranche Speditionen oder Verteilerzentren. Dies hat zur Folge, dass die Interessen der Kleintransporteure in der gesetzlichen Interessenvertretung wenig Berücksichtigung finden. Diese Systeme haben bereits vor 20 Jahren europaweit zu Verhaftungen in der konzessionierten Güterbeförderung geführt. Die sozialen Spannungen und die Migration hat Veränderungen in der Branche der Kleintransporteure ähnlich dem seinerzeitigen „Ziegelböhm“ geführt!
Aktuell: Österreichische Behörden deckten bei einem großen Paketdienstleister zahlreiche Gesetzesübertretungen auf. 50 Anzeigen wurden gemacht.
IN ÖSTERREICH: Scheinselbständigkeit, Arbeitskräfteausbeutung, Lohn- und Sozialdumping – diese Betrugsdelikte kommen auch bei selbstständigen Paketzustellern immer wieder vor. Der österreichische Güterbeförderungssektor gilt für die involvierten Behörden in Sachen Betrugsbekämpfung als hochriskante Branche.
Scheinselbständigkeit wird dann unterstellt, wenn ein als Selbstständiger auftretender Unternehmer eine Arbeit verrichtet, die der eines angestellten Arbeitnehmers gleichkommt. Die Behörden unterstellen mit dem Vorwurf einer Scheinselbstständigkeit, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis umgangen werden soll, um steuerliche Abgaben und Sozialversicherungsbeiträge zu sparen.
Resümee:
Eine Wirtschaftskammer, die auf Wachstum ausgerichtet ist, Regierungen, die eine Anlass-Gesetzgebung im Sinne von Neoliberalismus vorantreiben, leere Versprechungen von Unternehmern, die sich zum Zwecke des Preisdumpings SUBUNTERNEHMER bedienen, erfordern auch für die Sozialdemokratischen Partei das Format eines Victor Adlers, diese Entwicklungen zu stoppen. Denn Wirtschaft sind wir alle…..
Quellen: A&W, Wikipedia, WKO, Statistik Austria